Rätsel gelöst! Abhandlung zu den Dorfener Rathausbildern
Eine Abhandlung von Ferdinand Steffan (langjäriger Kreisheimatpfleger von Wasserburg)
Im Jahr 2019 hat Florian Tempel in der Erdinger SZ die Dorfener recht deutlich darauf hingewiesen, dass für den Bilderzyklus im Rathaus noch immer der Hofmaler Johann Caspar Sing (Braunau 1651 – 1729 München) als Künstler ausgewiesen werde, obwohl durch die Dissertation der Kunsthistorikerin Eva Seib von 1993 und einen vier Jahre später erfolgten Presseartikel eindeutig bewiesen sei, dass Sing als Autor nicht in Frage komme. Die angebliche Künstlersignatur „C.S.P.“ war für Seib ebenso unauflösbar, wie sie schon Georg Hager falsch gelesen hatte und letztlich auch Tempel erneut falsch wiedergegeben hat: „Eines sucht man vergebens: eine eindeutige Künstlersignatur. Nur ein Bild, das ausweislich des Widmungstextes nicht von anderen bezahlt wurde, sondern ein Geschenk des Malers ist, führt ein Monogramm: C.S.P. Es gibt umfangreiche Nachschlagewerke zu Signaturen und Monogrammen. Doch keines kennt jemanden, der mit den Initialen C.S.P. signiert hat. Man kann damit leben, es ist nichts Besonderes. Die Kunstgeschichte kennt Tausende unbekannter Maler.“ Abgesehen davon, dass auch das Bild „Jesus vor dem Hohen Rat“ signiert ist – und zwar sinnigerweise durch das Monogramm in der Blutlache Christi, lauten die Initialen klar und eindeutig G.S.P.
Der Verfasser dieses Beitrags, der sich seit Jahrzehnten mit den Bildhauern und Malern der Barockzeit im Raum Wasserburg beschäftigt, war jüngst darauf gestoßen, dass es auch im Dorfener Rathaus sog. Gerechtigkeitsbilder gebe, wie sie auch in Wasserburg hängen. Der Kontakt zum ehemaligen Kollegen Wolfgang Lanzinger brachte ganz schnell die Gewissheit, dass die Buchstaben G.S.P. lauten und somit dem Wasserburger Maler Gregor Sulzböck zugeordnet werden können, von dem es im ehemaligen Landkreis Wasserburg eine ganze Reihe von Arbeiten gibt, die er mit dem abgekürzten Vornamen und dem ausgeschriebenen Familiennamen samt der Angabe P(ictor/inxit) [= Maler/er hat es gemalt] oder der Buchstabenfolge G.S.P. signiert hat. Verblüffenderweise ist Maria Streibl zusammen mit ihrem Vater Franz unabhängig davon ebenfalls auf die Spur Sulzböcks gekommen. Jetzt wurden diese Forschungsergebnisse innerhalb des Historischen Kreises Dorfen zusammengeführt.
Nun ist Gregor Sulzböck regional kein Unbekannter, auch wenn er es nicht zum Hofmaler gebracht hat, wobei dieser Titel weniger ein Qualitätssiegel war, sondern dem Handwerker steuerliche Vorteile brachte. Der ca. 1636 in Eggenfelden geborene Gregor Sulzböck wurde am 8.3.1658 in Wasserburg als Bürger aufgenommen und verstarb dort am 20.1.1698. In Wasserburg ehelichte er am 4.2.1658 die Witwe Anna des Malers Wilhelm Strohvog(e)l und gelangte über diese Verbindung an eine alteingesessene Werkstatt, die vom Ende des 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts in der Innstadt führend war.
Gregor Sulzböck war ein gefragter Maler, der zahlreiche Aufräge für die Stadt, die Ortskirche und die Kirchen des Umlandes erhielt. Von seinem Werkstattvorgänger Matthias Wilhelm Strohvog(e)l hat er gleichsam als „Klostermaler“ des Augustiner-Chorherrenstifts Gars die Aufträge weitergeführt, die vor allem im Zusammenhang mit der Überführung der Gebeine des hl. Felix und dessen Verehrung standen. In der Pfarrkirche St. Jakob zu Wasserburg war er in die Errichtung des barocken Hochaltares eingebunden, den die Gebrüder Zürn unvollendet liegengelassen hatten. Die „Sendung des Hl. Geistes“ im Auszugsbild und Teile der Fassung der Figuren werden ihm zugeschrieben. Häufig wird er in den Kirchenrechnung genannt, wobei die Arbeiten aber nicht spezifiziert sind. Für die „Kleine Ratsstube“ fertigte er 1667 (und in den folgenden Jahren) fünf sog. Gerechtigkeitsbilder an, die antik-mythologische und biblische Themen zum Inhalt haben. „Jesus vor dem Hohen Rat“ und „Das Urteil des Salomo“ stimmen mit den Dorfener Motiven überein.
Die Signatur auf einem zugehörigen Kreuzigungsbild G.S.P. 1667 wurde erst 2010 bei einer Restaurierung entdeckt. Zwanzig Jahre später malte er zwischen 1686 und 1690 den Zyklus für das Dorfener Rathaus, wobei über den Stifter Andreas Plaichshirn des ersten Bildes die Beziehungen zu Wasserburg und Sulzböck zustandegekommen sein dürften, denn die Plaichshirn waren in der Innstadt schon lange ansässig. Zu den letzten großen Werken Sulzböcks gehören das Altarblatt für die Wallfahrtskirche zu Unserer Lieben Frau in Wasserburg samt dem Auszugsbild, das wiederum die Signatur G.S.P. trägt. […] Sicher ist, dass über die Vermittlung der Augustiner-Chorherren von Gars auch in deren incorporierten Pfarreien und Filialkirchen noch unentdeckte Werke Sulzböcks schlummern, wie z. B. die Felix- und Radegundistafeln in Soyen. Da für Altaraufträge in der Regel der Kistler, Bildhauer und Maler ein eingespieltes Team bildeten, kann man häufig von der Nennung des einen auch auf die anderen beteiligten Handwerker schließen. Das Werksverzeichnis ist also noch keineswegs abgeschlossen, wie man aus der Entdeckung der sechs Gemälde im Rathaus von Dorfen ersehen kann. Dorfen kann sich freuen, dass das Rätsel um den Maler G.S. nach über hundert Jahren gelöst ist, und Wasserburg darüber, dass es zu seinem bekannten Barockmaler „neue“ Werke gibt, die seine Bedeutung und sein Schaffen unterstreichen.
Zum Verfasser:
Theologe, Altphilologe, Archäologe
1968 – 2005: Gymnasiallehrer
1976 – 2018: Kreisheimatpfleger für den nördl. Landkreis Rosenheim
1979/80 – 2010: ehrenamtl. Leiter des Städt. Museums Wasserburg